U1, 2, 3 Weiter geht’s!

Asche auf mein Haupt. Viele Monde sind vergangen, seit ich das letzte Mal einen digitalen Funkspruch abgesetzt habe, aber das Erwachsenenleben hatte mich mal wieder fest im
Griff. Nichtsdestotrotz bin ich natürlich mit offenen Augen durch die Welt getigert. Am Ende habe ich vergangene Woche auf die Auslagen im Buchsalon Ehrenfeld draufgehalten, um endlich mal wieder einen Pflock einzuschlagen. Wegen der vielen Monde habe ich mich entschlossen, weniger Cover in kürzerer Folge zu besprechen. Besser, als Ordner auf dem
Rechner anzulegen, voller Bücher, die so lange liegen, dass aus Novitäten modernes Antiquariat wird und irgendwann alles anfängt, modrig zu riechen.

Polnische Plakatkunst lässt grüßen.
Wie bei »Herzgrube« nur zu Wasser. Wenn nur nicht der häßliche Aufkleber wäre …

Los geht´s mit »Herzgrube« von Andrew McMillan, erschienen bei Claassen. Den Namen der Gestalterin oder des Gestalters muss ich leider nachreichen, da der Verlag sich nicht zurückgemeldet hat. Ich dachte spontan an polnische Plakate der 1970er-Jahre, was ja nun mal nicht die schlechteste Referenz ist. Was macht die polnische Plakatkunst dieser Ära aus? Richtig! Starke Kontraste und das Handgemachte, so wie man es von den Plakaten Andrzej Pagowskis oder Henryk Tomaszewskis kennt. Hier umrahmt die Aussparung den Titel, wobei die Form nicht einfach nur kreisrund ist, sondern negativen kalligrafischen Charakter hat. Spitzenmäßig die Verbindung nach oben direkt in den Förderturm. Im Vorbeigehen noch die Größenverhältnisse auf den Kopf gestellt, fertig ist die (Mörder-)Grube. Dabei nimmt das Schwarz den größten Teil ein, was bei mir dazu führt, dass etwas Bedrohliches von der schwarzen Fläche ausgeht. Von allem, was ich gelesen habe, ist das Buch nicht gerade Happy-Hippo-Literatur. Scheinbar geht´s auch um »Queerness in einer dafür unmöglichen Umgebung«. Das glaube ich aufs Wort, wenn man an die Arbeit unter Tage denkt. Ob daher der rosafarbene Ton herrührt, weiß ich nicht. Ist auch egal und vielleicht reinste Klischeedenke meinerseits. Scusi! Die Farbe knallt auf jeden Fall und stellt einen starken Kontrast zum alles verschlingenden Schwarz dar. Formal lenkt sie den Blick zusätzlich auf den Titel.
Der Name des Autors kurz unter der Oberfläche schließt die Unterwelt sauber ab. Wie gesagt die Gestaltung, ein Hauch alter Schule, unter Verwendung einer Schrift mit ihren nicht vorhandenen Serifen, eher plattgedrückten Enden, die durchaus aus den 1970er-Jahren stammen könnte. Danke für den Umschlag, setzen 1.

Zwei völlig unterschiedliche Cover aus der Hand von Zeren Design.

Nächstes Buch. »Die letzten Tage der Linken« von Aurelien Bellanger. Das Cover hat direkt Erinnerungen geweckt an »Das zweite Leben des Adolf Eichmann« von Ariel Magnus, erschienen bei Kiepenheuer & Witsch. Das war das erste Buch, welches ich in meinem Blog jemals besprochen habe. Damals leitete ich meine kleine Stilkritik mit den Worten ein, », … dass Adolf Eichmann ein ziemlich harter Einstieg sei, das Cover aber einfach zu gut ist, um es nicht zu erwähnen«. Und was soll ich sagen? Es steckt dieselbe Designerin dahinter. Nurten Zeren nämlich, die für ein paar der gelungensten Umschläge der letzten Jahre verantwortlich ist. Super abwechslungsreich, total unterschiedlich in der Umsetzung, von Collagen über typolastige Titel bis hin zu starken Bildideen. Wenn man sehen will, wie abwechslungsreich sie gestaltet, muss man nur das Cover »Die letzten Tage der Linken« mit dem Cover »Haus zur Sonne« von Thomas Melle vergleichen. Beide aktuelles Herbstprogramm und doch völlig unterschiedlich. Hier der Politroman mit einer eher offenen abstrakten Umsetzung mittels einer Collage und dort ein konkretes Motiv, welches zwar auch Interpretationsspielräume bietet, aber doch formal direkter daherkommt. Ehe ich mich jetzt zu sehr im Theoretischen verliere, würde ich empfehlen, dass Sie einfach die Seite von Nurten Zeren besuchen und sich selber ein Bild machen. Ich habe sie schon häufiger angeschrieben. Sollten Sie das lesen, liebe Frau Zeren, melden Sie sich doch mal bei mir. Vielen Dank! In der Zwischenzeit muss ich das Reden übernehmen.
Was sehen wir also? Eine collagenartige Kombination aus Foto und Flächen. Die Flächen und das obere Foto sind dabei schön durch den Wolf gedreht, will sagen aufgeraut und mit Texturen vermengt. Ähnlich wie bei Eichmann, aber noch radikaler, sind die Bilder hart angeschnitten oder besser zerschnibbelt. Beide Bilder können so nur noch als Andeutung dienen. Guter Trick, wenn man niemanden im Speziellen abbilden will. Protagonist männlich? Anzug = Politiker? Daher, so meine Vermutung, die zerhackten Bilder. Klar, man könnte auch Silhouetten/Schatten oder Figuren im Gegenlicht abbilden oder vielleicht stark weichgezeichnete Fotos benutzen, aber das Xeroxhafte sorgt für ein wenig mehr visuelle Reibung. Abgesehen davon, dass die klassischen Agenturbilder von Anzugträgern oder Businessmen sehr schnell nach Sachbuch aussehen. Vielleicht geht es im Buch ja auch ein wenig härter zur Sache , schließlich reden wir von Politik. Daher müssen Stock- oder KI-generierte Bilder durch die Mangel gedreht werden. Sichwort: Interpretationsspielraum. Darüber hinaus ist die Collage dem Hochformat entsprechend höher als breiter aufgebaut und mündet in einen Sockel, an den sich der Titel gefällig anflanschen lässt. Dabei balancieren der Verlagsname und das Wort »Roman« das Bild gefällig aus. Bleibt nur die Wahl der Schrift für den Titel. Beim condensten oder compressten Schriftschnitt bin ich mir nicht ganz sicher. Es macht natürlich Sinn, eine andere Schrift zu nutzen, der Unterscheidung wegen. Auch läuft die Schrift dann nicht so weit und man erreicht einen zweizeiligen Umbruch, aber der Mix aus Serife für den Autor und Verlag und serifenloser Schrift für den Titel lässt mich etwas ratlos zurück. Aber man muss ja nicht alles verstehen und vielleicht erreicht mich ja mal eine Mail von Frau Zeren. Dann soll sie das letzte Wort haben, denn das wäre meine erste Frage. Ansonsten wieder ein echter Hingucker und somit ein Volltreffer auf dem Bücherstapel.

Wer keine Zähne hat, hat auch nix zu lachen.

Und jetzt tatsächlich zu einem Buch aus Polen.
»Lachen kann, wer Zähne hat« von Zyta Rudzka, Friedenauer Presse. In der Buchbesprechung war die Abbildung gerade mal 2 x 3 cm groß. Bestes Weltbildkatalog-Format also. Schon lange Geschichte, aber die Älteren unter uns erinnern sich vielleicht noch. Kleine Buchabbildungen auf engstem Raum. Gerade hier zeigt sich aber die wahre Könnerschaft, denn in der Reduktion liegt die Kraft. Wo fängt man an? Bei der Typo, die wie handgemacht aussieht? Dem illustrativen Umgang damit? Dem Umbruch, der sich der Form unterwirft? Fragen über Fragen. Dem weiblichen Kopf fehlt ein Zahn. Die Illustration mündet in einem Kamm, dem auch ein Zahn fehlt. Und wieder Rosa! Wann ruft Pantone endlich das Rosa als Trendfarbe aus, jenseits von Barbiehaftigkeit und My-little-Pony-Grauen? Damit meine ich nicht Peach Fuzz vom letzten Jahr (Achtung bester Werbesprech von der Pantone Website: »Peach Fuzz steht für unseren Wunsch, uns um uns selbst und um andere zu kümmern. Die allumfassende Aura dieses samtigen, weichen Pfirsichtons tut unserem Geist, unserem Körper und unserer Seele gut.«) Hmm … bleiben wir lieber bei der Aura des Covers. Laut Buchrezension handelt es sich bei der Protagonistin Wera, einer ehemaligen Frisörin, um jemanden, die »… arm, allein und eher auf der unteren Stufe der gesellschaftlichen Leiter stehend, dennoch stark ist und unkonventionell agiert. … Sie ist voller Verachtung für den Tod und seine Arschkriecher«. Das ist doch mal eine Ansage. Mehr Aufforderung zu einem Cover in bester Art Brut-Tradition (völlig unsachlicher stream of consciousness) kann es nicht geben. Natürlich führen viele Wege zu einem gelungenen Buchcover. Einer davon ist definitiv der Pfad, den die Designerin oder der Designer eingeschlagen haben. Denn das Ziel lautete, mal wieder einen Hingucker zu schaffen, der auf dem Buchstapel und im Weltbildkatalog (R.I.P.) funktioniert oder eben online auffällt. Aller beste Chancen, um aus der Masse von 65,717 Büchern, die letztes Jahr erschienen sind, hervorzustechen. En garde!
(Zahl entstammt der Website vom Börsenblatt und das Wort »Hingucker« wird bis auf Weiteres nicht mehr benutzt).

Von Willy Fleckhaus, dem Art Director von »Twen«, weiß man, dass er gerne mal eine Headline so weit eingekürzt hat, bis sie ihm unter rein typografisch-gestalterischen Gesichtspunkten gefiel. Meistens blieb dann nur ein einzelnes Wort übrig, und das auch noch möglichst kurz. Und nicht nur kurz, sondern auch noch aus den »richtigen« Buchstaben bestehend. Denn es macht schon einen Unterschied, ob man sich mit dem eher sperrigen »Y« rumschlägt oder das weiche, runde B zur Hand hat. Der Titel »ABER?« auf dem neuen Buch von Max Goldt ist so ein Fall. Die »richtigen« Buchstaben, eine gerade Anzahl davon und die geschwungene Serife, die schon fast etwas handegelettertes und Ornamentales hat. Und dann blickt einen auch noch diese merkwürdige Figur an, mit dem Gesicht von Max Goldt etwa? Eingerahmt vom Titel, schwebend in einer Trümmerlandschaft. Man versteht es nicht recht. Das Fragezeichen könnte von mir sein und macht den Titel auch nicht verständlicher. Aber was? Ist auch egal, oder verstehen Sie Titel wie »Gattin aus Holzabfällen« oder »Koksen, um die Mäuse zu vergessen«? Wo Max Goldt draufsteht, ist eben auch Max Goldt drin. Das Cover im klassischen Farbkontrast von Rot und Weiß besticht durch eine obskure Bildidee in Kombination mit einer prägnanten typografischen Lösung.
Für mich eine weitere 1 im Gestaltungskosmos der Neuerscheinungen. Auf jeden Fall hat Max Gold mit dem Buchtitel der Gestalterin oder dem Gestalter einen großen Gefallen getan. Es würde mich wirklich interessieren, was Willy Fleckhaus zum Cover gesagt hätte …

PS: Leider hat dtv sich bis zum Redaktionsschluss nicht zurückgemeldet, wer für den Umschlag verantwortlich ist. Ich bleibe mal dran, vielleicht schlummert da noch eine Geschichte.

Letzte Worte für heute
Angesichts der oft ähnlichen Neuerscheinungen ist es höchste Zeit für die Rubrik »Nach der Geburt getrennt«. Manchmal sind es Gestaltungstrends, manchmal der Zufall und leider oft auch die Hasenfüßigkeit der Entscheider und Entscheiderinnen, das Cover sich gleichen. Zeit für eine Gegenüberstellung, die ganz ohne Worte auskommt. Bis zum nächsten Mal.

Frauen, die Kopf stehen.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert