Ein Gespräch mit Michael Solder, Antiquar aus Münster.
Mittlerweile hat das Zoommeeting den Kneipenbesuch als Ort des Kennenlernens und der ersten Begegnung ersetzt. Und so findet mein erstes Treffen mit Michael Solder an einem kalten Dezemberabend 149,2 Kilometer von einander entfernt vor dem Rechner statt. Zu allem Überfluss auch noch bei Kaffee statt Bier. Ich wollte von ihm erfahren, wie ein Antiquar auf Bücher im Allgemeinen und Buchcover im Speziellen blickt. Im Laufe des Gespräches hat er mir nicht nur die wunderbare Überschrift geliefert, sondern noch eine Reihe von interessanten Einblicken in die wunderbare Welt der alten Bücher un die Arbeit eines Antiquars beschert.
Liest du noch oder streamst du schon?
Wenn man den ganzen Tag mit Büchern zu tun hat, kann man dann abends noch lesen?
»Natürlich, denn ich habe ja keinen Feierabend oder Arbeitszeiten im engeren Sinne. Ich nehme abends Auktionskataloge mit aufs Sofa oder in die Badewanne und lese eigentlich fast die ganze Zeit. Auch beim Fernsehengucken, wenn es dann wieder mal zu langatmig wird. Ich würde also sagen, dass ich eher mehr lese, als zu streamen.«
Also gibst du dich auch abends noch den Inkunabeln hin?
»Das auch, aber um mal etwas Neues zu zeigen, weil die Leute sonst denken, »der hat ja nur so verstaubtes Zeug« zu Hause, zeige ich dir jetzt mal etwas ganz Neues: Dieses Buch hat gerade den Preis der Stiftung Buchkunst als Schönstes Buch des Jahres 2021 bekommen: »Das Kochbuch eines japanischen Bildhauers«. Immer wenn man denkt, man kann nichts mehr lernen, dann kommt so ein Buch um die Ecke. Erst einmal habe ich der Verlegerin geschrieben und gesagt: »Ihr habt ein kaputtes Buch geschickt.« Und dann sagte sie: »Nein, das ist eine offene Schweizer Bindung.« Das kannte ich bis dahin nicht. Das macht dieses furchtbare Geräusch, dieses »Knack«, wenn sich der Kleber hinten löst. Das ist natürlich ein Albtraum für einen Antiquar. Aber ich finde, das ist ein großartiges Buch. Zum einen, weil mich Japan fasziniert, und zum anderen, weil es wirklich so schön gestaltet ist. Auf der Grenze zwischen Kunst und Kochen.«
Was macht denn ein großartiges Buchcover für dich aus?
»Ich habe im Studium viel von Suhrkamp gelesen und diese Gestaltung hat mich immer angesprochen. Selbst auf die Gefahr hin, mich unbeliebt zu machen, muss ich aber sagen, dass mich viele Bücher, die heute gestaltet werden, nicht ansprechen. »Ein Mensch unserer Zeit« lag kürzlich in einer Kiste mit 40 Büchern und ich dachte nur: »Was ist das für ein Umschlag?« So etwas gefällt mir. Vielleicht kann man das ja auch nur retrospektiv sagen, dass etwas nach 40 Jahren zu einem Klassiker wird. Zurzeit lese ich von Joseph Beuys »Die Mysterien für Alle« von Suhrkamp. Das ist auch eine gute Serie. Weil es im Grunde sehr sachlich daherkommt und trotzdem eine gestalterische Klasse hat.«
Was braucht es denn noch, damit ein Buch überdauert?
»Es ist ja nicht nur die Gestaltung, sondern auch die Verarbeitung. Wenn sich z. B. die Bindung auflöst. Oder die Papierqualität heute ist nicht mehr dieselbe und auch die verwendeten Materialien sind es nicht. Wenn ich an gut gestaltete und ausgestattete Bücher denke, dann fallen mir die Naturkunden von Matthes & Seitz ein. Diese Bücher finde ich als Serie ganz toll und ich glaube so etwas wird bleiben. Die Ausgabe ist sehr sorgfältig gemacht. Formal wie auch inhaltlich. Wenn der Verlag klug ist, dann drucken sie die Titel nicht nach und die Bücher üben auf Sammler möglicherweise einen gewissen Reiz aus. Das kann schon dazu beitragen, dass manche Ausgaben überdauern.«
Vielleicht noch etwas aus dem Nähkästchen eines Antiquars zu Büchern im Allgemeinen?
»Ich erinnere mich, dass wir mal in den Sortimentshallen auf der Frankfurter Buchmesse rumgeschlendert sind und festgestellt haben, dass kaum eines dieser Bücher jemals im klassischen Antiquariat landen wird. Es sei denn, es sind künstlerisch gestaltete Bände oder Kunstbücher, wie z. B. die von Gerhard Steidl. Gerade bei Steidl merkst du, da steckt so viel Sorgfalt, Wissen und Freaktum dahinter, auch jenseits von wirtschaftlicher Vernunft. Und das braucht es eben auch, um zu überdauern. Um das vielleicht auch noch abzurunden, muss ich sagen, dass ich vieles sehr mutlos finde. Wenn man z. B. nach Holland blickt und dort in eine Buchhandel geht, ist das eine komplett andere Welt und eine völlig andere Ästhetik. Mein Eindruck ist, dass sich die Gestaltung immer mehr angleicht, weil es immer uniformer wird und dabei so durchkalkuliert wirkt. Dabei gibt es historisch betrachtet natürlich noch nationale Unterschiede. Wir Antiquare sagen immer: Der Pappband kommt aus Deutschland, der Halblederband kommt aus England und der Ganzlederband kommt aus Frankreich.«
Nun zum Cover in deinem Job. Wie sieht´s da aus?
»Ich kann ehrlich sagen, dass ich noch nie in meinem Leben das Wort Cover benutzt habe. Das klingt so nach Sortimentsbuchhandel. Das, was du Cover nennst, heißt Einbandgestaltung oder Einbandkunde. Bei den Büchern, mit denen ich zu tun habe, gibt es schlicht keine Cover. Eines der ältesten Bücher im Laden ist eine Inkunabel, damit du mal siehst, wie ein Buch ohne Cover aussieht.«
O. k. Vorher noch die Frage: Was genau ist eine Inkunabel?
»Inkunabel heißt »Wiegendruck«. Dazu gibt es zwei Deutungslinien. Die einen sagen, der Begriff bezieht sich auf die Wiegezeit des Buchdrucks, also das 15. Jahrhundert, und die anderen sagen, der Begriff geht auf die ersten Buchdruckapparate, die wie Kinderwiegen aussahen, zurück. Das erwähnte Buch ist von 1487. Und das hier ist das Cover oder richtigerweise das Titelblatt. So ist das geliefert worden und wäre heute am Markt wohl eher schlecht durchzusetzen gewesen. Dieses Buch entstammt der Zeit weit vor der Reformation, bevor die sogenannten Propagandaschriften aufkamen. Damit wurden Diskurse ausgefochten. Zum Beispiel zwischen Martin Luther und dem damaligen Papst. Diese Schriften hatten höchstens »knallige« Titelblätter, weil die Bücher ohne Einband geliefert wurden, aber eben keine Cover und die Titelblätter auch als Werbezettel benutzt wurden.«
Aber das Buch ist in einen Ledereinband gebunden!
»Richtig, denn das, was wir hier sehen, wurde früher für Kloster- oder Fürstenbibliotheken angefertigt. Die Bücher wurden eingebunden und zum Beispiel, wie hier noch mit dem eigenen Wappen, in diesem Fall einem Adler, versehen. Dabei ging es nie nur um Gestaltung, sondern in erster Linie um Haltbarmachung. Wir haben es hier also mit Holz zu tun, das mit Leder bezogen worden ist, um den Buchblock zu schützen. Darüber hinaus kann das Ganze noch verschlossen werden.«
Damit ein Cover also Sinn macht, hätte es private Bibliotheken geben müssen.
»Genau. In dieser Zeit gab es aber eigentlich nur die Bibliotheken der Kirche, der von Königen oder Fürsten. Und die haben ihre Bücher selber binden lassen. Im Grunde wurde das Buch direkt gedruckt und in einer Interimsbroschur, also bestenfalls Buntpapier, geliefert. »Cuisinier Royal« ist ein französisches Kochbuch aus dem 18. Jahrhundert. Das Titelblatt ist schon ein bisschen gestaltet mit zwei verschiedenen Druckfarben Schwarz und Rot sowie mit einer Vignette versehen. In den seltensten Fällen blieb es dabei, denn normalerweise wurde das Buch dann direkt individuell gebunden.«
Also immer noch keine Cover?
»Richtig. Dieses Beispiel ist auch noch eher eine Ausnahme. Da die Broschuren nicht bedruckt waren, kann man also immer noch nicht wirklich von einem Cover sprechen. Diese Stadtbeschreibung von Paris vom Anfang des 19. Jahrhunderts, genauer 1828, hat nun ein Cover. Das ist ein gebundenes Buch, welches so verkauft wurde und daher ein Cover brauchte. Das hat also ziemlich lange gedauert mit den Covern. Wir sprechen jetzt von einer Zeit rund 40 Jahre nach der Französischen Revolution.«
Kann man sagen, dass sich gesellschaftliche bzw. politische Entwicklungen auf die Buchgestaltung ausgewirkt haben?
»Ja, denn nach der Französischen Revolution und dem Aufkommen des Bürgertums wurden auch private und öffentliche Bibliotheken aufgebaut. Mit der steigenden Nachfrage begann dann der Handel mit Büchern für die breitere Bevölkerung so, wie wir ihn kennen, und Bücher waren von nun an nicht mehr nur dem Adel oder Klerus vorbehalten.«
Und gleichzeitig spielte die technische Entwicklung eine große Rolle.
»Ja, das ist richtig. Wenn man noch mal zurückgeht zu meinem Beispiel von Conrad Geßner und seinem Vogelbuch, dann sprechen wir von Holzschnitten. Bei Holz sagt man, dass nach 1.000 Abzügen die Platte ziemlich rund ist. Das heißt, mit Probeabzügen kommt man vielleicht nur auf eine Auflage von 800 Stück. Dann wurde der Kupferstich entwickelt. Da kam man schon auf 2.000 bis 3.000 Exemplare und mit der Französischen Revolution etablierte sich der Stahlstich. So etwas, wie der Paris-Reiseführer konnte dann in noch höherer Auflage gedruckt werden. Und im späten 19. Jahrhundert mit der Fotografie und dem Lichtdruckverfahren waren die Auflagen im Hinblick auf den Verschleiß unbegrenzt. Und wie gesagt, gleichzeitig etablierte sich eine immer breiter werdende bürgerliche Schicht. Und mit dem Aufkommen des Sozialimus kam auch die Arbeiterschicht, die alphabetisiert wurde, hinzu. Und ab da war der Bedarf an Büchern natürlich ein völlig anderer.«
Noch mal zum Einfluss von gesellschaftlichen Entwicklungen. Ich habe bei dir die Baedeker-Reiseführer gesehen. Da spielt die gesellschaftliche Entwicklung im Hinblick auf das Reisen ja auch eine große Rolle. Und das ist gleichzeitig ein gutes Beispiel für Umschlaggestaltung.
»Ich muss sagen, dass ich die Reiseführer sensationell finde, was das »Branding« angeht. Ich glaube, Baedeker hat das bis in die 1960er- oder 1970er-Jahre durchgezogen. Dann war es kein Leinen mehr, sondern die Reiseführer bekamen Kunststoffumschläge. Das fand ich dann nicht mehr so prickelnd. Aber die rote Farbe und das Format haben sie beibehalten und somit waren die Bücher absolut unverwechselbar. Zu der Konstantinopel-Ausgabe gibt es eine schöne Geschichte. Baedeker legte dem Buch einen Zettel bei, auf dem stand, dass man das Buch bloß in der Innentasche tragen solle, weil die Zensur im Osmanischen Reich westliche Bücher nicht gerne sah.«
Wo wir jetzt bei Covern sind. Gibt es für dich noch andere Beispiele von gelungenen Reihentiteln?
»Ich finde die Bücher des Insel-Verlages, die als erste Taschenbuchserie angefangen haben, auch sehr schön. Das waren auch unverwechselbare Bücher. Auf den alten Exemplaren sind die Schilder noch montiert. Auf dem Titel wie auch auf dem Rücken. Auf den heutigen Büchern des Insel-Verlages findet man das natürlich nicht mehr. Das ist alles eins bis hin zur Papierstruktur, die ganz glatt und hell ist. Es ist klar, dass man heute einen solchen Druck gar nicht mehr bezahlen könnte. Schon allein wegen der Schilder auf dem Titel, die in Handarbeit montiert werden müssten. Trotzdem haben sie die äußere Form durchgehalten, was ich ganz toll finde.«
In dem Gemeinschaftskatalog der Antiquare, in dem du ja auch vertreten bist, bin ich noch auf die sogenannten Tarnschriften gestoßen. Da spielt das Cover oder besser der Umschlag ja auch eine große Rolle. Was hat es damit auf sich?
»Ja, das kennt man nur aus Diktaturen. Dabei geht es um Zensur in jeder Form. Das führte dazu, dass Bücher anonym erschienen sind bzw. unter falschem Namen oder mit irreführendem Umschlag. Und dann gab es noch den Fall, dass Frauen unter Männernamen veröffentlicht haben, weil sie überhaupt nicht hätten veröffentlichen können. Zum Beispiel hier in Münster hat Annette von Droste-Hülshoff anonym veröffentlicht, da sie aus dem Adel kam. Worauf ich im Zusammenhang mit den Tarnschriften häufig stoße, sind Bücher aus der Zeit Friedrichs des Großen, die in Amsterdam gedruckt wurden, da Amsterdam damals relativ liberal war. Es wurden also auch Druckorte fingiert, um die Zensur zu umgehen.«
In dem Katalog gibt es ein weiteres interessantes Beispiel. Auf dem Umschlag heißt es »Excentric Shampoo. Das Beste für die Haarpflege«. Im Innenteil geht es aber um die Judenverfolgung in der Kristallnacht, geschrieben von Autoren wie Winston Churchill oder Leon Blum. Die Tarnschriften sind ja nur mit Umschlag komplett. Wie arbeitest du dich an solche Bücher heran?
»Um solche Bücher richtig beurteilen zu können, muss man wahnsinnig viel wissen. Wenn du beispielsweise auf einem Flohmarkt bist und irgend jemand ein Buch anbietet, dann wird er womöglich nicht die Geschichte dahinter kennen. Und das ist eigentlich das, was meinen Beruf ausmacht. Oft geht es um die Geschichten hinter den Büchern oder darum, diese Geschichten herauszufinden. Es gibt Bücher oder Inhalte, die dafür prädestiniert sind, die Zensur umgehen zu müssen. So etwas gab es schon im 19. Jahrhundert in England oder Frankreich. Ich hatte zum Beispiel ein Buch, mit dem ich mich zwei Monate beschäftigt habe. Eine ganz frühe Lukian-Ausgabe, also ein griechischer Klassiker. Der ist 1507 in Venedig erschienen und direkt von der päpstlichen Zensurbehörde zensiert worden. Die Teile wurden ausgebunden bzw. die Lage rausgenommen oder sie wurden geschwärzt wegen ihrer erotischen Inhalte. Das Buch ging dann an einen Sammler aus den USA, der sich auf zensierte Bücher spezialisiert hat. Aber wie gesagt, um das feststellen zu können, braucht es schon einiges an Wissen.«
Klingt nach Detektivarbeit.
»Ja, ist es auch! Im Fall der Lukian-Ausgabe, von der ich eben gesprochen habe, muss man erkennen, dass der Zeilenumsprung nicht stimmt oder die Ligaturen nicht zusammenpassen und das braucht Zeit. Außerdem war das Buch in Griechisch gedruckt. Dasselbe gilt auch für die Tarnschriften oder politische Agitation. Hier muss man historische Zusammenhänge berücksichtigen, wenn beispielsweise Bücher in Konzentrationslagern verfasst wurden. Wie haben diese ihren Weg herausgefunden? Das ist ein ganz spannender Bereich. Leider müssen Bücher bis heute an der Zensur vorbeigeschleust werden. Gerade habe ich einen Artikel über einen Buchhändler in Afghanistan gelesen. Der bringt den Frauen die Bücher nach Hause, weil sie seinen Laden nicht betreten dürfen.«
Nicht nur die Umschläge dienten der Tarnung, sondern man machte sich auch den Buchblock zu nutze, um Inhalte zu verschleiern.
»Ja, das ist noch etwas, das oft unentdeckt bleibt. Im Buchschnitt gibt es ein sogenanntes Fore-edge Painting. Das heißt, wenn du das Buch biegst, siehst du auf dem Buchschnitt eine Grafik. Da hat jemand draufgemalt: zum Beispiel eine Landschaftsdarstellung oder etwas Erotisches.«
Nun haben wir die ganze Zeit von Büchern und Buchcovern in gedruckter Form gesprochen. Du widmest dich dem Buch aber auch in digitaler Form, nämlich in Form eines Podcasts. Worum geht es bei »RARE BOOKS CARE LOOKS«.
»Die Idee stammt ursprünglich von meiner ehemaligen Kommilitonin Sabine Scho, die Schriftstellerin, Lyrikerin und Fotografin in Berlin ist. Sie hat mich angeschrieben und gefragt, ob wir nicht zusammen einen Podcast machen wollen, in dem wir Bücher von zwei Seiten beleuchten. Sie, die als Künstlerin und Schriftstellerin viel mit alten naturwissenschaftlichen Büchern und ich als Antiquar, der von Berufswegen mit alten Büchern zu tun hat.
Ich fand das war gerade zu Beginn der Coronapandemie eine gute Idee. Mit der Gesellschaft zur Förderung der Westfälischen Kulturarbeit e.V. haben wir dann jemanden gefunden, der sich um den organisatorischen Rahmen gekümmert hat. Außerdem ist der Landschaftsverband Münster noch mit eingestiegen, um die technischen Dinge zu betreuen. Aktuell haben wir acht Folgen in zwei Staffeln produziert, wobei wir uns jeweils pro Folge ein Buch vornehmen. Das machen wir jetzt seit einem Jahr. Das erste Buch, mit dem wir uns beschäftigt haben, war »Das Vogelbuch von Conrad Geßner«. Dabei handelt es sich um eine der ersten naturkundlichen Beschreibungen von Vögeln, die um 16oo gedruckt worden ist.
Wir hatten das Buch ausgewählt, weil Sabines Lyrik bisweilen Tiere und Natur zum Thema hat und für mich ist es eines meiner Lieblingsbücher. Dabei sind wir dann von zwei Seiten aufeinander zugerauscht. Sabine Scho, Schriftstellerin, Lyrikerin und Künstlerin aus Berlin und Michael Solder, Antiquar aus Münster, die beiden Macher des Podcasts »rarebooks-carelooks.de«. Ich habe beschrieben, wie so ein Buch gemacht wird, was es mit dem Holzschnitt auf sich hat und wie so ein Einband aussieht. Auch ich muss mir ja die Bücher erarbeiten. Dabei prüfe ich, ob sie vollständig sind, und recherchiere die Druckgeschichte der Bücher. Sie wiederum beschreibt, welchen Einfluss das Buch auf ihre schriftstellerische Arbeit hatte. Diese beiden Blickwinkel machen den Podcast, wie ich finde, sehr spannend. Aber es geht auch um andere Aspekte. So erzähle ich auch aus meinem Alltag als Antiquar. Was passiert alles mit einem Buch, wenn es bei mir im Laden landet? Umgekehrt frage ich mich oft, was der Kunde eigentlich mit dem Buch macht, wenn ich es verkauft habe? In der Regel schnacke ich ihn oder sie ein bisschen voll, wir tauschen uns aus und dann ist mein Job beendet. Manche Kunden sehe ich nie wieder und entsprechend verschwinden diese Bücher aus meinem Leben. Bei Sabine erhalten die Bücher durch ihre Auseinandersetzung mit dem Originalbuch in ihrer Kunst fast ein neues Leben. Und dann kommt dabei eben auch mal ein zweites Buch über Vögel heraus. Das letzte Buch, das wir gemacht haben, war Robert Franks The Americans. Wir behandeln im Podcast also ein ganz breites Spektrum und das fordert einen auch ganz schön.«
Um zum Schluss noch mal den Bogen zurück zum analogen Buch zu schlagen, meine Frage nach dem absoluten Buchhighlight im Leben eines Antiquars?
»Das klingt ein bisschen groß und ich weiß nicht, ob das ein absolutes Highlight ist, aber ich hatte im Studium eine Erstausgabe von Kants »Kritik der reinen Vernunft« in der Hand. Da habe ich echte Andachtsgefühle bekommen. Man muss wissen, dass Kant den Satz mitbestimmt hat, weil es in der ersten Auflage noch so viele Druckfehler gab und dass die Gestaltung bis hin zur Schrift von ihm begleitet wurde. Wenn du das Ding in der Hand hast, spürst du förmlich diese pietistische Schlichtheit bei Kant. Alles ziemlich karg. Der Verleger hatte damals vorgeschlagen, mit Vignetten im Buch zu arbeiten, aber das hat Kant natürlich abgelehnt. Nur Text, reine Information. Wenn ich daran denke und an meine Andachtsgefühle, würde ich sagen, das war schon ein Highlight.«
Vielen Dank, Michael, für das Gespräch – und alle anderen: Ab ans Handy und den Podcast anwerfen!
Fotos: @Tuula.Kainulainen