»Wenn Du entdeckst, dass Du ein totes Pferd reitest, steig ab«
Dennis Witton, Buchhändler und Inhaber der Buchhandlung »WortReich« erklärt, wieso er keine Bücher mehr einkauft, »deren Cover maximal austauschbar und null kreativ sind«. Ein Gespräch über Bestsellerlisten, Eskapismus und was die Dakota-Indianer mit Covern zu tun haben.
Herr Witton, Sie zitieren Anfang des Jahres online im »Börsenblatt« die Dakota mit den Worten: »Wenn Du entdeckst, dass Du ein totes Pferd reitest, steig ab.« In dem Artikel beklagen Sie die Bücher, »deren Cover maximal austauschbar und null kreativ sind.« Nennen Sie uns doch mal Ross und Reiter, um beim Bild zu bleiben.
»Die toten Pferde sind ganz allgemein Cover, die sich ständig wiederholen und die nicht nur bei Leser:innen sondern auch im Buchhandel zu Ermüdungserscheinungen führen. Es türmen sich die toten Pferde stapelweise in den Buchhandlungen, weil der Glaube vorherrscht, dass sich Cover ähneln müssen, um die Zielgruppen zu erreichen und den Inhalt möglichst deutlich abzubilden. Beim Reiter handelt es sich um die Verlage, die diesen Mythos immer weitererzählen und damit dafür sorgen, dass es wenig Vielfalt gibt. Zum Glück gibt es aber auch löbliche Ausnahmen.«
Nichtsdestotrotz sind Sie Kaufmann und müssen Bücher verkaufen. Was heißt das im Alltag?
»Ich glaube, dass ich abschätzen kann, welche die Brottitel sind, die ich einkaufen muss. Aber auch da ist die Überlegung, wie viel kaufe ich davon ein? Ich bediene selbstverständlich den Bedarf. Darüber hinaus tue ich nicht unbedingt mehr für diese Bücher. Es gibt einfach eine Unzahl an Titeln, bei denen ich mich frage, ob ich diese Bücher fördern will. Bei diesen Titeln fällt mir auf, um zur Gestaltung zurückzukehren, dass die Verlage sich an die gängige Gestaltung schon bekannter Titel anlehnen. Nach der Devise: »Wenn das so aussieht wie ein Buch von der Autor:in XY, werden die Leute das schon kaufen.« Das ist der Punkt, an dem ich aussteige.«
Hängt das auch mit dem Selbstverständnis einer unabhängigen Buchhandlung zusammen?
»Natürlich. Wir haben immer gesagt, dass wir mehr sind als eine Buchverkaufsstelle. Die Leute sollen sich auf uns und unseren Laden einlassen. Wir präsentieren schließlich auch Geschichten.«
»Ich glaube, da spreche ich für alle Buchhändler:innen, dass wir den Anspruch haben, individuell zu sein und Stärken rauszuarbeiten.«
»Wir müssen immer wieder unsere Nische suchen und gemeinsame Sache mit unabhängigen Verlagen machen. Und das heißt, Mut zu haben und Dinge zu präsentieren, die man nicht überall findet. Daher auch mein Wunsch, dass sich Verlage, Layouter:innen und Gestalter:innen etwas mehr trauen.«
Stichwort-unabhängig. Das Börsenblatt veröffentlicht eine Independent-Bestsellerliste. Finden sich dort die Titel, die Sie sich in Ihrer Buchhandlung wünschen?
»Durchaus. Die Liste ist gewissermaßen ein Gegenentwurf zur »Spiegel«-Bestseller-Liste. Dort tauchen Titel von unabhängigen Verlagen auf, die vielleicht nicht jeder auf dem Schirm hat. Andere Bücher, die sowohl inhaltlich als auch von der Gestaltung her, durch Originalität bestechen und bei denen ich viel mehr das Gefühl habe, dass sie gefördert und verkauft werden sollten.«
Finde ich die »Spiegel«-Bestseller-Liste auch in Ihrem Laden?
»Nein. Bei uns hängt keine »Spiegel«-Bestseller-Liste. Wir weisen auf unsere persönlichen Lieblinge hin und sollte jemand fragen, was auf der Bestseller-Liste steht, dann gucken wir im Internet nach. Noch schlimmer als die »Spiegel«-Bestseller-Liste, ist der »Spiegel«-Bestseller- Aufkleber.« Da nimmt man einen gut gestalteten Umschlag in die Hand, auf dem der rote Sticker klebt und das ganze Bild ist kaputt. Der kann ein schön gestaltetes Cover ganz schön verunstalten. Darüber könnte ich mich auch aufregen. Die Bücher werden nun mal verlagsseitig mit Aufkleber geliefert. Aber manchmal knibbeln wir die Aufkleber wieder ab. Zumindest von den obersten drei Exemplaren, wenn wir die Bücher im Stapel präsentieren. Wir finden, dass es ein Cover wert ist, in seiner ganzen Schönheit gezeigt zu werden. Da sollte es nicht von einem solchen Aufkleber verunstaltet werden.«
Lassen Sie uns noch mal über Ihren Ansatz im Hinblick auf Covergestaltung sprechen.
»Ich versuche ganz bewusst, nicht nach schön oder hässlich, ansprechend oder nicht ansprechend zu beurteilen. Mir geht es erst einmal um originell und mutig. Das sind meine beiden wichtigen Gesichtspunkte.«
»Ich weiß sehr wohl, dass das was ich schön finde, andere nicht unbedingt schön finden. Es ist müßig, darüber zu streiten, was ein gutes Cover ist.«
»Natürlich gibt es Gesichtspunkte, nach denen man urteilen kann, aber letztlich ist es Geschmackssache. Aber ich sage eben auch, dass ich Cover, die sich zum zehnten oder zwanzigsten Mal wiederholen, nicht haben will. Das ist meine Perspektive.«
Wann ist also ein Cover interessant für Sie?
»Für mich ist ein Cover interessant, wenn es bei mir Emotionen auslöst. Unabhängig davon, ob es schön aussieht oder mich durcheinanderbringt. Es kann mich auch irritieren, sodass ich erst einmal genauer hinschauen muss.«
Glauben Sie, das funktioniert so auch bei den Kundinnen und Kunden?
»Ich stelle immer wieder fest, dass reine Schwarzweißcover, egal in welchem Genre oder in welcher Warengruppe, kaum funktionieren und nicht gerne in die Hand genommen werden. Das sind aber tendenziell die Bücher, die wir den Leuten in die Hand drücken müssen.«
Da wirkt die Irritation eher abschreckend und überfordert.
»Scheinbar. Andere Bücher werden von alleine in die Hand genommen. Es gibt wunderbare Beispiele von Leinenoptik und Struktur. Das ist es der haptische Teil, der eine große Rolle in der Covergestaltung spielt und der in den letzten Jahren mehr in den Vordergrund gerückt ist. Der Wunsch vielleicht, gerade im Zeitalter des Digitalen, etwas in die Hand nehmen zu können und zu spüren.«
Welche Beobachtungen beim Kaufverhalten hinsichtlich Titel machen Sie aktuell bei den Kundinnen und Kunden?
»Ich habe im Moment das Gefühl, dass die Zeichen beim Lesen sehr auf Eskapismus stehen. Und wenn sich das in irgendeiner Form in Covern wiederspiegelt, dann ist das für viele schon einmal ein Pluspunkt. Titel, die irgendwie suggerieren, hier kannst du entfliehen. Egal, ob das mit Meer, Wald oder mit Bergen zu tun hat. Diese Titel erfreuen sich großer Beliebtheit. Identität ist jetzt natürlich auch ein großes Thema. Da sehe ich Cover, auf denen Personen abgebildet sind, die eher schemenhaft, wie Schatten erscheinen oder auf denen die Konturen nicht so ganz eindeutig sind. Diese Gestaltung spricht meist eine jüngere Leserschaft an.«
Wie würden Sie Ihre Kundinnen und Kunden noch beschreiben?
»Ich glaube, die Frage ist immer, ob man von Leser:innen spricht oder von Konsument:innen. Grundsätzlich werden beide Gruppen oft für dümmer gehalten, als sie sind. Konsument:innen achten auf die Verpackung. Die kriegt man besten über die Umschläge, die viel über den Inhalt erzählen, und Cover, die einen hohen Wiedererkennungswert haben. Das gilt besonders für die Gestaltung der Bücher in den Nebenmärkten, wo keiner danebensteht und etwas zu den Büchern erzählt. Da stehen drei Meter Bücher und es geht darum, schnell etwas zu vermitteln. Darum schnell zuzugreifen, ohne lang darüber nachzudenken. Die lesenden Menschen hingegen kommen in Buchhandlungen, haben mehr Zeit zum Stöbern, um sich beraten zu lassen und um etwas auszusuchen.«
Wir sprechen immer von »den Verlagen«. Wer genau, glauben Sie, hat das Sagen bei der Entscheidung für dieses oder jenes Cover?
»Um mir darüber ein Urteil erlauben zu können, fehlt mir natürlich der Einblick in die Verlage, aber ich glaube schon, dass das Controlling oft ein Wörtchen mitzureden hat. Da muss ich natürlich ein bisschen vorsichtig sein, um niemanden zu nahezutreten. Es geht mir oft so, dass ich denke, nur weil man ein BWL-Studium absolviert hat, heißt das noch lange nicht, dass man den Markt kennt. Man kennt vielleicht die Gesetze des Marktes im Allgemeinen, aber nicht die Gesetze des Buchmarktes im Speziellen, und nicht alles lässt sich mit Daten und Zahlen erfassen. Es gibt eben noch andere Dinge, die da mitschwingen und die es meiner Meinung nach zu berücksichtigen gilt. Daher habe ich oft das Gefühl, je größer der Verlag, desto weniger wird über eine individuelle und kreative Gestaltung nachgedacht. Das ist sicherlich auch eine Frage der Kosten und der Grund dafür, dass die Gestaltung mit Stockfotos zunimmt. Manchmal denke ich sogar, da hat nicht mal mehr eine Grafiker:inn dran gesessen, sondern irgendjemand hat da schnell etwas zusammengeschustert, weil es die billigste Variante war.«
Lassen Sie uns noch mal über schöne Bücher reden. Gibt es Titel, deren Gestaltung Ihnen im Gedächtnis geblieben sind?
»In jüngster Zeit sicherlich viele, aber wenn ich weit zurückdenke, ist eines meiner Lieblingsbücher »Stadt der Blinden« von Jose Saramago. Nicht nur inhaltlich, sondern auch wegen seines Covers. Auf dem Umschlag ist ein Ginkoblatt zu sehen und man kann ein Gesicht assoziieren. Ich habe das Cover erst richtig verstanden, nachdem ich das Buch gelesen habe.«
»Wenn es einem Cover gelingt, am Anfang neugierig zu machen und sich am Ende erst zu erklären, nachdem man eine Geschichte gelesen hat, dann finde ich das grandios.«
Wollen wir zum Schluss noch mal ein paar Cover genauer unter die Lupe nehmen? Auch wenn diese von der »Spiegel«-Bestseller-Liste stammen?
»Sehr gerne!«
Fangen wir mit Ferdinand von Schirach an. Was sagen Sie dazu?
»Das ist ein gutes Beispiel für »Wir setzen auf Altbekanntes und Bewährtes«. Das ist eindeutig ein Schirach-Buch. Das erkenne ich auf 20 Meter Entfernung, ohne dass ich das lesen könnte. Autorenname in Rot, Titel Schwarz und irgendeine kleine Abbildung in Schwarzweiß dazu: ein klassischer Schirach. Das hat einen hohen Wiedererkennungswert. Ich glaube auch, dass man bei Schirach das Rad nicht unbedingt neu erfinden muss. Wenn ein Autor mit solchen Covern etabliert ist, kann man gerne so weitermachen, originell ist das sicherlich nicht.«
Wie sieht‘s mit Marianna Lecky aus?
»Das hat ja schon hervorragend bei »Was man von hier aus sehen kann« funktioniert. Da war es nicht ein Krokodil, sondern ein Okapi. Würde ich jetzt kein anderes Cover kennen und nur diesen Titel sehen, würde ich sagen, ich finde es grandios. Natürlich hat man das Tier nur ausgetauscht und ist sich bei der Gestaltung treu geblieben. Die Farben am Rand finde ich nicht sehr harmonisch oder besonders ansprechend. Alles in allem ist das ein schönes Cover, das aber nicht mehr durch Originalität besticht.«
Diese Cover bestätigen also die These, dass Bücher von erfolgreichen Autorinnen und Autoren immer gleich aussehen. Heinz Strunk ist ja auch nicht unerfolgreich. Trotzdem habe ich das Gefühl, dass hier etwas nicht stimmt. Ich kenne das Buch nicht, wundere mich aber über die lauwarme Gestaltung, auch wenn der Titel etwas merkwürdig gesetzt ist. Werden die Leserinnen und Leser hier in die Irre geführt? Oder schlimmer noch, eine Text-Bild-Schere womöglich?
»Das ist ein guter Fall des eben erwähnten Eskapismus. Die Leute sehen nur den Himmel, den Strand und die Weite und greifen zu diesem Buch. Aber sie stellen sich etwas anderes darunter vor, und das liegt an der Gestaltung.«
»Das ist das Buch, zu dem wir am häufigsten etwas sagen müssen. Strunks ganze Rotzigkeit kommt bei diesem Cover nicht rüber.«
»Das ist das Buch, zu dem wir am häufigsten etwas sagen müssen. Strunks ganze Rotzigkeit kommt bei diesem Das ist das Buch, zu dem wir am häufigsten etwas sagen müssen. Strunks ganze Rotzigkeit kommt bei diesem Cover nicht rüber.Cover nicht rüber.«
Isabell Allende, noch eine Bestsellerautorin. Ihre Meinung?
»Hier haben wir eine Frau, die zur Seite schaut. Das haben wir ja öfter. Aber es ist das einzige Cover, das ich kenne, wo ein Gesicht so ungewöhnlich abgeschnitten wird. Alles von der Gestaltung und der Farbgebung wirkt sehr harmonisch, aber dann fehlt das halbe Gesicht.«
Ist das die Irritation, die Sie vorhin ansprachen?
»Ja, es irritiert. Man fragt sich, was ist denn da passiert? Das ist gut gelöst. Etwas Altbekanntes zu nehmen, es aber so zu gestalten, dass etwas Neues und Originelles entsteht. Deswegen finde ich das Cover sehr interessant. Ich mag auch, dass es nicht fotorealistisch ist, sondern etwas von einem Gemälde hat. Man merkt direkt, dass es ein Ausschnitt ist, dass ein größeres Bild dahintersteckt und es noch mehr zu erzählen gibt als das, was man sieht.«
Lassen Sie uns mit Jan Weiler enden. Was fällt Ihnen zu dem »Markisenmann« ein?
»Ich bin ein großer Fan dieses Covers. Was nicht alleine am Cover liegt, sondern daran, dass das Buch im Innenteil auch gestaltet ist. Wir, die wir ein gewisses Alter haben, ich sage mal Ü-40, kennen diese Farben und erinnern uns an die Tapeten und die furchtbaren Vorhänge, die zu Hause hingen. Dadurch wirkt der Titel erst einmal stark assoziativ und funktioniert daher meiner Meinung besonders gut.«
Und das, obwohl das Cover nicht nach der erwähnten »Bestseller- Formel für Gestaltung« designt worden ist. Jan Weiler ist schließlich auch ein Bestsellerautor, nicht nur für den »Spiegel«. Herr Witton, vielen Dank für das Gespräch.
Dennis Witton betreibt seit zwölf Jahren mit seinem Mann die Buchhandlungen »WortReich« in Horrem und Königsdorf. Er selber bezeichnet sich als einen Menschen, der Geschichten verkauft, andere Leute nennen das einen Buchhändler.