Christoph Merian Verlag, dtv.
Mein erstes Piatti-Buch bekam ich geschenkt, und zwar das Songbook »Long live Rock« von den WHO. Auch wenn es sich dabei nicht wirklich um eine einen »100-prozentigen Piatti« handelte, da der Umschlag ohne die typische Illustration Piattis auskommen musste, waren mir die weißen dtv-Umschläge von diesem Tag an ein Begriff.
Scheinbar fremdelte Piatti auch ein wenig. Die Erklärung dafür liefert Piatti in dem Buch selber, als er in einem Brief an den Verleger und geschäftsführenden Gesellschafter des dtv Heinz Friedrich schreibt:
»Ich sende alle Unterlagen zurück mit der Begründung, dass ich nicht der richtige Mann für diesen Umschlag bin. Da könnte ein junger Rock-Pop-Grafiker mithelfen. Mein Vorschlag hat jedenfalls die Rock-Disko-Stimmung vermittelt, die jeden anfällt, der diese Lokale kennt.«
Wie kommt Piatti darauf, nicht der richtige Mann zu sein, der ein Buchumschlag gestalten könnte? Wenn man das wunderbar gestaltete Buch »Alles, was ich male, hat Augen«, welches zum 100. Geburtstag des Künstlers erschienen ist, einmal durch hat, besteht überhaupt kein Zweifel mehr an der außergewöhnlichen Begabung und dem Talent, das Piatti in seiner über 50 Jahre andauernden Karriere an den Tag legte.
„Ein weißer Umschlag mit rechtsbündig gesetztem Titel in zurückgenommener schwarzer Typografie, verbunden mit einer im Verhältnis zum Format kleinen Illustration in Farbe.“ Auf diesem gestalterischen Konzept basierten die mehr als 6.000 Buchumschläge, die Celestino Piatti in über 30 Jahren für den dtv gestaltete. Angesichts der Menge an Titeln und der Dauer der Zusammenarbeit ein für heutige Maßstäbe unglaubliches Werk. Fast jeder/jede, der/die sich für Literatur interessierte, kannte die Umschläge mit den oft kräftigen Illustrationen auf weißem Grund.
Das Buch »Alles, was ich male, hat Augen« über Celestino Piatti beleuchtet dabei nicht nur die Arbeit für dtv, sondern umfasst sein gesamtes gestalterisches Werk. Besonders beeindruckend dabei ist, welche Fülle an Material den Macherinnen und Machern zur Verfügung stand und in diesem Buch vor den staunenden Augen des Betrachters/der Betrachterin ausgebreitet wird.
Man möchte meinen, dass die Herausgeber Claudio Miozzari und Barbara Piatti vom Verein »Celestino Piatti – das visuelle Erbe«, alles rausgehauen haben, was mit Celestino Piattis Schaffen zu tun hat und dennoch heißt es in dem Buch, dass noch eine Menge Material aus dem Archiv Piattis gehoben werden könne. Für den Anfang reicht das, was sich zwischen den beiden Buchdeckeln des Hardcovers verbirgt.
In diesem wunderschön, in zwei Sprachen vom Büro Stauffenegger + Partner aus Basel gestalteten Buch finden sich Originalentwürfe mit Anmerkungen Piattis, Druckvorlagen, unzählige Skizzen, Bilder aus seinem Atelier und Sitzungsprotokolle aus dem dtv-Verlagsprogramm sowie unendlich viele Belege seiner Arbeit als Grafiker. Von den frühen Jahren um 1948, als er sich mit seiner damaligen Frau Marianne selbstständig machte, bis hin zu den letzten Entwürfen in 1990er-Jahren können die Macher auch aufgrund der persönlichen Beziehung zum Künstler auf unzählige Arbeitsproben zurückgreifen.
Gerade die Fülle macht das Buch so beeindruckend und lässt das Buch zu einer Hommage an einen Gestalter werden, der scheinbar alle Formate und Techniken bedienen konnte.
Was mich beim Anblick der Layouts, Druckvorlagen und Illustrationen aber auch fasziniert hat war, wie sehr sich die Arbeit des Grafikers im Vergleich zu heute verändert hat.Viele Druckvorlagen erinnern mich an die Zeit meiner ersten Gehversuche in Werbeagenturen und Redaktionen. Noch zu Beginn meines Studiums an der Fachhochschule mussten wir Filme für Druckvorlagen schneiden und das Omnichrom Gerät war die einzige Möglichkeit, farbige Schriften herzustellen. Nicht von ungefähr galt der Beruf des Grafikers früher als Handwerk. Es gibt im Buch Druckvorlagen für dtv zu sehen, die Piatti direkt im Originalformat 18 x 10,8 cm entworfen und mit Klebstoff montiert hat. Aber nicht nur das Gestalten fand gänzlich anders statt, sondern auch die Kommunikation war eine völlig andere. Und das galt nicht nur für den Schriftwechsel zwischen dem Verleger Heinz Friedrich und Celestino Piatti, der sich über drei Jahrzehnte erstreckt. Friedrich diktierte, wie es im Buch heißt, Piatti schrieb in der Regel mit der Hand, sondern auch für die Zusammenarbeit mit den Auftraggebern in der Zeit vor der digitalen Datenübertragung.Piatti saß schließlich in Basel und dtv in München. Somit mussten Andrucke, Fotovorlagen und Briefe per Post geschickt werden. „Ein reger Brief-, Paket-, Eilboten- und Telegrammverkehr auf der Achse München–Basel“, wie es im Buch heißt. Und wo wir schon beim vom Nostalgie getrübten Blick sind, wirkt das Bild des Verlagswesens in dieser Zeit auch unendlich weit weg. Mehr als aktuell dagegen ist das folgende Zitat von Piatti:
»Bis heute ist gutes Grafikdesign ganz wesentlich von Auftraggebern abhängig, die außergewöhnliche Gestaltung nicht als Risikofaktor verstehen.«
Doch noch mal zurück zu den Umschlägen:
Ich glaube, was zum Ruhm der Umschläge für dtv beigetragen hat, war der hohe Wiedererkennungswert der Bücher. Piatti hat eine Corporate Identity geschaffen, die zu dieser Zeit im Verlagswesen die Ausnahme war. Zumindest kann das für Deutschland gelten. In Großbritannien war die Umschlaggestaltung von Jan Tschichold, die er in den Jahren von 1946 bis 1949 für Penguin entwickelte, schon länger stilbildend.
Die halbfette Akzidenz-Grotesk, rechtsbündig und immer in der oberen rechten Ecke platziert, als Vertreter des Swiss Style sorgte für das modernistische Gefühl, welches schon in den 1950er-Jahren so bereitwillig angenommen wurde. Dazu der großzügige Weißraum, weshalb die Bücher auch als »weiße Umschläge« in Erinnerung blieben, und natürlich die Illustrationen Piattis. Egal, ob mit Tinte, Tusche, Pastellkreide, Deck- oder Wasserfarbe ausgeführt.
Ich würde das Buch jedem und jeder empfehlen, der/die sich über den Spaß am Lesen hinaus fragt, wer eigentlich der Mensch hinter all diesen Buchumschlägen, Werbematerialien und Postern war? In diesem üppig bebilderten und persönlich geschriebenen Buch lernt man einen grundsympathischen und gelassenen Gestalter kennen, der scheinbar auf allen Klaviaturen von Materialien und Techniken zu Hause war. Er war definitiv der richtige Mann für Buchumschläge, auch für den Buchumschlag »Long live Rock« von den Who.