U1, 2, 3 Los geht’s!

Zugegeben, Eichmann ist natürlich ein harter Einstieg, aber das Cover von Zeren Design aus Berlin ist einfach zu gut. Also macht »Das zweite Leben des Adolf Eichmann« von Ariel Magnus, im August 2021 bei Kiepenheuer & Witsch erschienen, den Anfang. Das Cover auf dem Schutzumschlag arbeitet mit einer Doppelbelichtung anstatt, wie sonst bei historischen Themen oft üblich, mit einzelnen Fotos. Die Montage der Bilder innerhalb der Silhouette ist formal auf jeden Fall eleganter und hat das Cover für mich zum Hingucker gemacht. Darüber hinaus sind die Bilder von Eichmann entweder im Anschnitt oder unvollständig eingebaut. Der Mann, der seinerzeit über die Rattenlinie nach Südamerika geflohen ist und lange unerkannt in Argentinien gelebt hat, bleibt auch auf dem Cover nicht eindeutig erkennbar. Ein weiterer Pluspunkt für das Konzept der (uneindeutigen) Doppelbelichtung.

Dabei ist auch der Titel gepflegt positioniert. Noch ein bisschen Rot ins Bild gemischt, auf dem ansonsten in Grautönen gehaltenen Cover – fertig ist die Laube. Wenn man Erbsen zählen wollte, könnte man sagen, das Wort »Roman« hätte ein My nach rechts gekonnt und vielleicht der Autorenname eher nach oben…? Geschenkt!

Warum also ausgewählt? Weil es ein Hingucker ist und weil die Designerin hinter diesem Umschlag einfach geniale Cover gestaltet. Und, um ehrlich zu sein, auch ein bisschen, weil mich das Cover an die Titelsequenz der Serie »True Detectives« erinnert hat.

Abgang von Eichmann, der Ratte. Auftritt von Oded Hefer, einem homosexuellen jüdischen Detektiv. »Der letzte Schrei« von Yonatan Sagiv bei Kein & Aber erscheint im April 2022. Ja, ja voll Retro Neon-Typo und dann der Lippenstift. Miami Vice und Synthesizer sind ja schon länger wieder der letzte Schrei oder schon wieder abgeflogen? Egal, mir gefällt’s. In meinem Blog bin ich der Chef. Noch unsachlicher wird’s, wenn man das Cover zu »Schwund« sieht. Die »Rocky Horror Picture Show« lässt grüßen. »Ein Thriller, aber in Heiter«, wie es auf dem Titel heißt. Laut Website handelt es sich dabei um das Genre »Krimödien«. Ich habe ein Faible für Typolösungen auf Buchumschlägen, besonders wenn sie so »triefen«.

Bleiben wir bei Typolösungen. Von einem Trend zu sprechen, wäre falsch. Reine Schriftenlösungen sind seit Johannes Mario Simmel und noch viel länger der letzte Schrei. Man denke nur an Jonathan Safran Foers Buch von 2002 oder »Der Spaß an der Sache«, die Essays von David Foster Wallace 2018, die auch bei Kiepenheuer & Witsch erschienen sind. Auf Zadie Smiths Buch »Grand Union« zierten 2021 große Lettern den Umschlag. Die Namen renommierter Autorinnen und Autoren werde ja gerne groß gesetzt, weil es ein deutliches Verkaufsargument ist. Was subtiler Gestaltung schon mal den Garaus machen kann. Googlen Sie mal Ken Follett…

Auf dem Cover von »Grand Union« funktioniert das aber recht gut, nicht zuletzt weil Schriftenhersteller in den letzten Jahren mit interessanten Schriften aufwarten. Auch wenn ich nicht 100-prozentig sicher bin, könnte es sich bei dem Font um die Schrift »Sidewalk Cafe« handeln. 

An dieser Stelle ein kleiner Hinweis auf die Schriftenfirma MyFonts und deren Website »WhatTheFont«, um Schriften zu bestimmen. JPEG hochladen und der Algorythmus macht meistens den Rest. Gehen wir also mal davon aus, dass es sich bei der Schrift um die »Sidewalk Cafe« handelt, sehen wir eine Schrift, die sich in Ebenen anordnen lässt und meistens aus dem Schriftschnitt Regular, dem Dropshadow und einem weiteren Schriftschnitt, der aus dem 3-D-Körper besteht. Schriften wie die »Buford« von Kimmy Design, warten sogar noch mit Outline-, gestrichelten und gepunkteten Schriftschnitten, sowie Script-Schnitten auf, die sich in unzähligen Varianten kombinieren lassen. Soviel zur völlig subjektiven Auswahl meiner, mehr oder weniger aktuellen, Typografie-Lieblingstitel. Und die Farben auf dem Titel von Zadie Smith? Die Hoffnung ist Grün und das Blau erinnert an die Deutsche Bank. Eine frische Farbkombi, die mich in der Buchhandlung direkt zu dem Buch hat greifen lassen.

Sieht nach Sonderfarbe aus oder Prägefolie. Ein aktuelles Beispiel aus dem Hause Hanser.
Weitere Typolösungen: »Ready Player Two« von Ernest Cline 2021 bei Fischer 2021 erschienen.
Nicht mehr ganz so aktuell, weil von 2018, »Dunkle Zahlen« bei Matthes & Seitz.
»NIE,NIE,NIE«
von Linn Stromsborg bei Dumont erschienen.
Geht immer! Wenn auch kein reiner Typotitel, so taucht Handgelettertes seit Jahren immer wieder auf. 
»Arturo Bandini« von 2019 bei Blumenbar.
Auch Heyne Hardcore mit den Büchern des großartigen Jim Thompson, setzen auf handgeschriebenes.
Oder einfach mal zum Kugelschreiber greifen. Aktueller Titel von dtv.
Hier wird der Name des Autors fast zur Illustration.  Heinrich Böll bei Kiepenheuer und Witsch, 2021, wieder von Zerendesign.

Wenn schon Schriftlösung, warum nicht gleich als Reihengestaltung?

Die Klappenbroschur bei Matthes & Seitz.
Die Flugschrift von Nautilus als Broschur.

Mit dem Cover zum Buch »Über Stunden« von Elisa Aseva biegen wir in einem langen Bogen wieder Richtung Retrohausen ab. Die Broschur im strengen Schwarz/Weiß erschienen bei Weissbooks erinnert mit der Helvetica oder der Neuen Haas  an die Siebzigerjahre. Ebenso beim »Glashotel« oder »Trick Mirror«, werden Erinnerungen an die Vergangenheit wach und je länger man auf die Bücher von Douglas Adams schaut, umso mehr steigen die Entwürfe von Celestino Piatti für »dtv« vor dem geistigen Auge auf. Aber Piatti und seine Buchumschläge sind noch mal eine ganz andere Geschichte…

Wie wäre es mit Collagen?

Collagen sorgen schon allein durch ihre Materialhaftigkeit und Plastizität zum Hingucken. Man kann durchgucken, reingucken, aber keinesfalls weggucken. In den letzten Jahren erlebt die Collage als Illustration in Magazinen, aber auch in der Kunst eine Wiedergeburt. Arbeiten von Hannah Höch werden schnell mal mit 10.000 Euro und mehr gehandelt. Kurt Schwitters hat bei Lempertz 2019 mit »Ohne Titel (Counterfoil)« sogar 396.000 Euro erzielt. Nicht zu vergessen, der Meister aller Klassen John Heartfield. Er gestaltete in den Zwanzigerjahren Umschläge für den Malik-Verlag und wurde berühmt für seine politischen Fotomontagen.

Die Umschläge zu Douglas Adams haben etwas von dtv.
Rechtsbündige, serifenlose Schrift, Weißraum und eine Illustration. So macht KEIN & ABER POCKET das heute.
Wenn es um eine Jugend in den Siebzigerjahren geht, dann macht die geschwungene Langnese-Typo auf dem Titel sogar Sinn. Auch wenn uns Franz Josef Strauß aus dem Hintergrund anstarrt und uns das Compositing ziemlich viel erzählen will.
Wörter, nichts als Wörter. Bei Reclams 100 Seiten wird schon mal ein Auszug des Inhalts auf den Titel gepackt.

Ein Besuch seiner Website kann ich nur empfehlen. Zu der frühen Epoche des 20. Jahrhunderts und der Buchumschlaggestaltung später mehr, wenn ich hier mit Michael Solder, einem Antiquar aus Münster, über antiquarische Bücher spreche. Nun aber zurück zu aktuellen Titeln. Den Anfang macht wieder eine Arbeit von Zeren Design. Der Schutzumschlag zum Buch »Im Menschen muss alles herrlich sein« von Sasha Marianna Salzmann. Über den Titel sind scheinbar wahllos hingestreute Schnipsel verteilt. Auf der Website von Suhrkamp ist die Rede von Umbruchzeiten … und Systemen, die zerfallen. Ich will mich hier nicht zu weiteren Interpretationen hinreißen lassen. Das erklärt uns hoffentlich bald in diesem Blog Nurten Zeren selber. Bleiben wir bei der U1.

Darunter erkennt man den Titel in einer Antiqua, die eher wie eine Textur daherkommt. Ich weiß nicht, ob die Schrift mit den Aussparungen daher kommt. Aber sicherlich hat die Designerin für den Titel und den Namen der Autorin in einer condenseden serifenlosen Schrift Platz geschaffen.Für mich sind es in erster Linie der räumliche Effekt und die zurückhaltende Komposition, die den Titel so interessant machen. Der nächste Titel ist zwar von 2019, aber am Blauwal kommt keiner vorbei. Wieder das Spiel mit Plastizität. Diesmal schauen wir hindurch, wobei der Schnitt sich in Kombination mit der Flosse zur Silhouette des titelgebenden Blauwals vereinigt. Next level shit. Heißt, der Schnitt vervollständigt die Illustration. Typo oben/unten, dazu ein wenig Farbe und wieder ist eine Laube fertig. Ganz großes Tennis. Nochmals Vorteil Zeren Design. Damit mir niemand unterstellt, ich stünde auf der Gehaltsliste der Designerin, war das das letzte Cover aus Berlin. Und daher zum Abschluss nochmal drei weitere Collagen-Buchcover. »Johanns Bruder« von Stephan Lohse, 2020 erschienen, erinnert an die Arbeiten des Illustrators Wolf Erlbruch. Erlbruch, der viele Bücher für den Peter Hammer Verlag gestaltet hat, greift in seinen Arbeiten auch oft auf die unterschiedlichsten, oft alten Papiere zurück. Ähnlich wie auf dem Cover »Johanns Bruder« entsteht dabei eine besondere Farbigkeit, die die »Poesie des Materiellen« sichtbar macht, wie es einmal in einem Artikel der Süddeutschen Zeitung hieß. Und auch der mit einem einfachen Bleistift handgeschriebene Titel und Autorenname erinnern an den Illustrator aus Wuppertal. Das eigentlich Interessante aber ist die Bildidee dahinter. Der negative Scherenschnitt und die Leerstelle, visualisieren für mich die Rätselhaftigkeit, die der Protagonist für seinen Bruder im Buch verkörpert. Weil wir eben  kein Gesicht sehen, lässt die Collage viel Raum für die Fantasie des Betrachters. 

Ähnlich rätselhaft und mit einer ausgestanzten Form kommt das Hardcover mit Schutzumschlag »Verzweiflungstaten«, 2021 bei Blumenbar erschienen, daher. Und um bei angeschnittenen Gesichtern zu bleiben, zum Schluss noch »Gesichter«, ein Frühjahrestitel, der als Hardcover mit Schutzumschlag im Aufbau-Verlag erscheinen wird und Teil einer Trilogie ist.

Die Gestaltung weist in die Vergangenheit, genauer ins Jahr 1968. Hier hätte ein modernes Foto überhaupt keinen Sinn gemacht. Das macht deutlich, wie präzise man bei der Auswahl der Materialien sein muss. Mit seiner Farbigkeit, der Typo und dem Foto bis hin zum Lidstrich könnte das Buch tatsächlich dem Antiquariat entstammen.

Weg vom Analogen hin zum Digitalen. Darf’s ein bißchen surrealistischer sein? Wenn man der Beschreibung des Buches »Die einsame Bodybuilderin« auf der Website des Blumenbar Verlages glauben darf, geht es um »das Bizarre, das Groteske, das Fantastische, das Fremde. Und – hinter all dem verborgen – die Freiheit.« 

Katzen gehen ja bekanntlich immer gut. Dazu die abgewandte Figur einer Frau, die mich an das »Mädchen mit dem Perlenohrring« von Vermeer erinnert. Was mich auf die Idee bringt, dass es unbedingt eine Geschichte über Frauen, die auf unsäglichen Buchcovern weggucken, geben muss.  Ja, Vermeers Mädchen guckt uns an, die einsame Bodybuilderin schaut in die Ferne. Vielleicht liegt’s auch nur an der Farbigkeit. Ich mag nun mal entsättigte Farben. Erschienen letztes Jahr im Mai, kommt das Hardcover mit Klappen und einer digitalen Montage daher, wirkt seltsam artifiziell. Welche Rolle die Katzen spielen, habe ich nicht rausgefunden, aber sie verstärken hier um so mehr den surrealistischen Effekt. Photoshop kann ja bekanntlich fast alles und sagt nicht immer die Wahrheit, aber um das Bizarre, das Groteske, das Fantastische und das Fremde in Szene zu setzen, reicht es allemal. Und wer weiß, vielleicht ist ja so manche von mir als analog angepriesene Collage auch im Rechner entstanden…

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