Ins Netz gegangen

Auf einer meiner letzten Recherchereisen wäre ich dem Web doch glatt ins Netz gegangen. Auf der Suche nach weiteren Informationen zum Thema Penguin Buchcover-Design bin ich über den Umschlag »Children & Hallucinogens« aus der Reihe »Penguins Guides« gestolpert. Eigentlich hätte ich schon beim Titel hellhörig werden müssen. Zumal im Untertitel »Die Zukunft der Disziplin« gepriesen wird.

Greifen Sie zum LSD, wenn die kleine Lea mal wieder beim Basteln Unfug macht.
Schonwaschgang oder gleich schleudern?

Disziplin mittels Verabreichung von psychoaktiven Substanzen? Die lieben Kleinen sedieren? Schwarze Pädagogik 2.0 with a little help from the Schamanen meines Vertrauens? Hieß es doch in der Beschreibung zum Buch, das 1971 bei Penguin erschienen sein sollte: »Das Buch bemisst die Menge an Lysergic Acid Diethylamide, welches einem Kind gefahrlos verabreicht werden kann, ohne dass es sich dabei in ein Möbelstück verwandelt oder seine mentale Kapazität auf die einer vergesslichen Forelle schrumpft. Und schon gar nicht dazu führt, dass Kinder zu einer identischen Kopie ihrer selbst würden, was den Britischen Staat wiederum tausende Pfund für neue Pässe und andere Dokumente kosten würde.« Was war los? Immerhin reden wir von den 1970er-Jahren, den Jahren der Reformpädagogik. Wer weiß? Und hatten die Engländer nicht auch Summerhill hervorgebracht? Eine reformpädagogische Schule, die als eine »der ältesten demokratischen Schulen der Welt gilt«? Demokratische Schulen? Auf LSD vielleicht! Im Zuge der Recherche bin ich auf weitere Titel aus der Reihe gestoßen. So z. B. »How to Wash a Childs Brain«, »Foreigners & How To Spot Them. Safe Methods Of Approach« oder »Practical Witchcraft Today. How To Hurt People«. Einer besser als der andere.

Farbraum des Grauens. Vielleicht inspiriert von der englischen Küche?

Doch bevor ich das Geheimnis lüfte und weil es sich hier um einen Blog handelt, der sich ernsthaft mit Buchcovergestaltung auseinandersetzt, wollen wir zunächst einen genaueren Blick auf die Gestaltung werfen. Wie erreiche ich diese triste Anmutung längst vergessener Zeiten? Richtig, es braucht entsättigte Farben und dazu Fotos in stumpfen Grautönen, ohne wirkliches Schwarz. Duplexbilder können helfen, zweifarbig also, wie in unserem Beispiel »Kinderhirne waschen«. Und natürlich die Originalvorbilder genau studieren. Da fühlt sich jede und jeder gleich in die Vergangenheit katapultiert. Die in den 1950er- bis 1970er-Jahren omnipräsente Helvetica, plus eine Ebene Gilb und Eselsohren aus Photoshop – fertig ist das abgeranzte Exemplar aus der Leihbücherei um die Ecke. Oder man bedient sich Farbfotos, die sich in einem Farbraum bewegen, der irgendwo zwischen English-Breakfast, Haggis (dazu Wikipedia: »… besteht aus dem Magen eines Schafes, paunch genannt, der mit Herz, Leber, Lunge, Nierenfett vom Schaf, Zwiebeln und Hafermehl gefüllt wird.«) und Jellied Eels liegt (bitte nicht googeln!).

Mr. Haggis and the Jellied Eels.
Alles für die Geburtenkontrolle. Wie Kinder wohl schmecken?
Der Deutsche sieht auf jeden Fall böse aus.

Mit der Sauce färbt man dann die Fläche in der oberen Hälfte des Covers ein und schmeckt das Ganze wieder mit der Helvetica ab. Fertig ist das nächste super originale Retrocover. Das muss man dem Mann oder der Frau lassen, er/sie versteht sein/ihr Handwerk und bewegt sich geschmeidig auf dem Stand von 1970 zwischen seinen/ihren Letraset-Bögen und Fixogum-Klebelayouts. Aber wer steckt nun hinter diesen Covern? Der Mann heißt Richard Littler und ist ein englischer Autor und Grafikdesigner. Die Buchumschläge sind Teil des »Scarfolk Council Blogs« rund um die fiktive Stadt Scarfolk im Norden Englands und deren Stadtverwaltung. Denn er hat nicht nur Buchumschläge gefaked, sondern es gibt auch etliches, fiktives Informationsmaterial der Stadt

Was tun, wenn Ihr Kind Tollwut hat?

Wenn der Papa mit der Schrotflinte draufhält, nützt auch die Bücherwand nichts mehr.

So ruft das Gesundheitsamt von Scarfolk beispielsweise Eltern auf, seine Kinder zu erschießen, wenn diese Verdacht auf Tollwut haben. Littler selber sagt über die Inspiration zu dem Blog, der auch Titel für Fernsehsendungen wie »We Watch You Watching Us« sowie Aktionfiguren für Kinder und Kassettenhüllen präsentiert: »I was always scared as a kid, always frightened of what I was faced with … You’d walk into WHSmith … and see horror books with people’s faces melting. Kids’ TV included things like Children of the Stones, a very odd series you just wouldn’t get today. I remember a public information film made by some train organisation in which a children’s sports day was held on train tracks and, one by one, they were killed. It was insane … I’m just taking it to the next logical step.« Dass er mit dem nächsten logischen Schritt recht behalten sollte, war spätestens 2018 klar, als die britische Regierung versehentlich Pressematerial veröffentlichte, in dem sein Poster zur Eindämmung der Tollwut zu sehen war. Zumindest sagt das das Internet und das muss es ja wissen, sagen die britische Regierung und ich.

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