»Am Ende gehts um die Story, nicht nur ums Blech«
Der 1957 Lotus Eleven Series 2 Le Mans,
Chassis Number: 313
Kein laminierter Pappband mit Schutzumschlag oder eine Broschur, sondern ein Buchdeckel aus zerkratztem Aluminium, einem Font, der an englische Nummernschilder erinnert und eine Bindung, die sich »Chicago Post Binding« nennt. So kommt das neueste Projekt von Alexander Kohnke, Buchdesigner und Künstler aus San Diego, daher. Wir kennen uns, seit wir gemeinsam am Art Center College of Design in Los Angeles studiert haben, und stehen seit dem in losem Kontakt. Auf Instagram bin ich auf das Buch aufmerksam geworden und freue mich nun mit Alex, über dieses fantastische Projekt sprechen zu können.
Gentlemen, start your engines!
Worum gehts beim Lotus Eleven 313?
»Unser Lotus Eleven ist ein englischer Sportwagen von 1957, von dem es heute nur noch ein paar Exemplare gibt. Der erste Lotus Eleven startete 1956 beim 24-Stunden-Rennen von Le Mans. Das Auto wurde von 1956 bis 1958 gebaut. 313 ist die Chassisnummer und in dem Buch geht es eben um diesen Wagen mit der Nummer 313, der 1957 gebaut wurde.«
Wie ist es zu dem Projekt gekommen?
»Das Projekt habe ich für einen meiner Kunden realisiert, mit dem ich schon vorher gearbeitet habe. Sein Name ist David Martin. David ist Architekt in L.A. und sammelt Oldtimer. Ein super angenehmer Zeitgenosse. Das ist ja nicht immer so, dass sich Geld mit netten Leuten paart. Ich habe mit ihm früher schon zusammen gearbeitet. Vor sechs oder sieben Jahren hat er mal ein Hot Rod gebaut und mich damals gefragt, ob ich nicht als Designer die Auswahl der Farben, die Gestaltung der Startnummern und Logos sowie die Typografie für die Ziffernblätter des Tachos gestalten wolle.«
Und dann kam der Lotus?
»Richtig! Den hatte er gerade in England gekauft. Der Wagen sollte auf der Bernina Gran Turismo 2021 debütieren, das ist eine Oldtimerrallye in der Schweiz. Im Anschluss an das Rennen gibt es eine sehr exklusive Autoshow und dort sollte der Wagen das erste Mal der Öffentlichkeit präsentiert werden. Das war der Plan. Leider ist es dazu wegen Corona nicht gekommen. Auf jeden Fall hat dieses Auto eine sehr interessante Provenienz, die aber nur in Form von losen Dokumenten, wie Fotos, Quittungen, Rechnungen, Racesheets, Etiketten von 1957 bis heute, vorlag. Und so kam mein Auftraggeber auf die Idee, das Ganze in Form eines Buches zusammenzuführen.«
Also gar nicht mit der Absicht, für das Buch einen Verlag zu finden?
»Nein, denn eigentlich ist das Buch eine aufwendig gestaltete Dokumentation. Ähnlich wie bei dem Hot-Rod-Buchprojekt ging es darum, bei den Autoshows der Jury eine Dokumentation vorlegen zu können, die die Provenienz detailliert dokumentiert. Oder, wie David sagte: » … damit die Jury ein bisschen was zu lesen hat«. Bei dem Auto handelt es sich übrigens wirklich um einen » alten Haudegen«. Das heißt, der Lotus hat an enorm vielen Rennen teilgenommen. Das ist kein Garagenauto, das sonntags mal nach Malibu rauf- und runtergefahren wurde. Da diese Rennen auch dokumentiert wurden, ist das Buch eben der Ort, an dem all die Informationen gebündelt werden sollten. Bei den Autoshows sprengt er mit diesen Büchern immer die Grenzen und der Jury fallen regelmäßig die Augen aus dem Kopf, wenn sie die gelayouteten Bücher sehen. Normalerweise kriegen die fotokopierte und geklammerte Hefte zu sehen. Er legt eben Wert darauf, dass die Dokumentation optisch etwas hermacht und am Ende vielleicht auch noch den Wert seines Autos steigert.«
Solche Projekte sind ja keine klassischen Aufträge von Buchgestaltung. Schon alleine, weil sie gar nicht auf den Buchmarkt abzielen. Das ist ja eher so ein Liebhaberding, was für uns als Gestalter durchaus reizvoll ist. Auf der anderen Seite ist es schade, da das Buch nie einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich gemacht wird.
»Das stimmt. Das ist vielleicht der Nachteil. Aber ich verspüre gar nicht den Drang, das Buch über den eigentlich Zweck hinaus irgendwo anzupreisen. Mir fehlt dafür die Energie oder vielleicht bin ich auch einfach dafür nicht eitel genug. Wir hatten tatsächlich mal über eine Auflage von vielleicht 500 Stück nachgedacht und überlegt, ob man an einen Verlag herantritt. Am Ende wurde daraus nichts. Es geht ja auch nur um dieses eine Auto und die Zielgruppe derer, die das interessieren könnte, ist bestimmt nicht groß. Vielleicht hätte der Lotus Club England Interesse gehabt, aber letztendlich machte es keinen Sinn. Noch mal, im besten Falle trägt die Dokumentation dazu bei, den Wert des Autos zu steigern. Es ist eigentlich wirklich ein »Vanity Project«. Und das macht es eben auch in der Zusammenarbeit so interessant, weil eben niemand außer uns an all den Entscheidungen beteiligt war und wir auch keine Marktmechanismen berücksichtigen mussten.«
Lass uns doch noch mal zu dem Cover zurückkommen.
Ist das Originalblech von diesem Auto?
»Ja, die Teile kommen aus dem Unterboden. Die Kratzer sind also vom Asphalt der Rennstrecken, Silverstone, Spa, Pau und noch ein paar mehr. Das Auto wurde in England von ADP Classic Racing restauriert. Bei der Restaurierung geht es ja auch immer um die Frage, wie viel darf man noch abschrauben oder ausbessern, damit man bei dem Auto noch von einem Originalzustand sprechen darf? In den 1970er-Jahren z.B. wurden schon große Teile des Aluminiums ausgetauscht. Diese Teile wurden dann ersetzt durch Originalaluminiumteile des Karosseriebauers aus den 1950er-Jahren. Im Zuge der neuerlichen Restaurierung musste der Aluminiumunterboden raus und da kam mein Kunde auf die Idee mit dem Aluminiumcover. Daraufhin hat er mit der Werkstatt gesprochen und am Ende hatte ich vier Blechplatten in der Post. Das Tolle ist, dass diese Bleche alle unterschiedlich sind. Sprich unterschiedliche Kratzer und verschiedene Bohrungen haben. Da die Platten nicht ganz gerade waren, kam der Siebdruck nicht mit. Das heißt, dadurch bekam auch der Druck eine sehr »roughe« Textur. Und das macht das Material zum idealen Träger für das Cover, weil es diese Historie und diesen abgerockten Rennwagen 1:1 abbildet. Also zurück zu deiner Frage, das Cover ist wirklich ein Teil des Autos.«
Noch mal zum Siebruck. Welche Schrift ist das?
»Das ist die englische Nummernschild-Typo, die nach dem Designer Charles Wright benannt ist. Das Typeface heißt entsprechend »Charles Wright Bold«. Übrigens ist das Auto seit 1957 bis heute mit dem Originalnummernschild unterwegs.«
Bei dem Thema ist die Wahl der Typo und der Materialien eigentlich naheliegend, oder?
»Ja, aber wie das häufig so ist, sind die naheliegenden Dinge in der Gestaltung jene die oft am besten funktionieren.«
Und die Wahl der Farbe Gelb für den Titel?
»Das hat mit der Farbe der Felgen zu tun. Diese sind in Gelb lackiert. Das war ab Werk so, genau wie das British Racing Green für die Karosserie.«
Vielleicht noch mal zurück zu Büchern, die man abseits des Marktes produziert. Ist es so, dass man bei der Ausstattung eher aus dem Vollen schöpfen kann?
»Ja, das ist absolut richtig. Bei einer so geringen Auflage kann man sogar über Handarbeit nachdenken.«
Wobei man wissen muss, dass es nur vier Bücher mit Blechcover gibt und nur diese Cover aus einem Originalblech bestehen. Bei der U4, also der Rückseite, musstet Ihr auf neue Alubleche zurückgreifen.
»Es gab einfach nicht genug Originalmaterial. Daher habe ich die restlichen acht Bücher auch mit einem herkömmlichen laminierten Pappcover angelegt und dafür die bedruckten Blechplatten abfotografiert.«
Aber die »herkömmlichen« Bücher sind ja auch ganz interessant gebunden?
»Stimmt, mit Schrauben, um den »Werkstattcharakter« zu erhalten. Die Bindung nennt sich »Chicago Post Binding« und daran ist der Buchblock wiederum eingehängt. Außerdem habe ich die Cover händisch gelocht, um die Bohrung aus den Alublechen zu übernehmen. Und der Buchblock hat abgerundete Ecken, um den »Handbuchcharakter zu erzielen.«
Kommen wir noch mal zur Bindung der »Blechausgabe«. Hier hast Du Metallscharniere benutzt.
»Das waren ganz einfache, handelsübliche Aluscharniere.«
Und wie habt Ihr die Scharniere mit den Aluplatten verbunden?
»Die sind mit einem Zweikomponentenkleber eingeklebt. Anschließend haben wir den Buchblock mit den Schrauben am Scharnier festgemacht.«
Ich schätze, das Buch ist im Digitaldruck gedruckt worden.
»Richtig, der Digitaldruck lag nahe bei einer Auflage von nur zwölf Büchern.«
Wie viele Seiten hat das Buch?
»Der Umfang sind 124 Seiten.«
Hat sich das Format des Buches nach den Maßen der Aluplatten gerichtet oder hast Du erst das Format festgelegt und dann die Platten zuschneiden lassen?
»Wir haben zuerst das Format festgelegt. Das Buch sollte so groß sein, dass man es problemlos mit zur einer Autoshow schleppen kann, gleichzeitig sollte es für die Jury noch handlich sein und es sollten 3 DIN-A4-Seiten lesbar auf eine Seite passen. Das Blech hat der gute Laurence Gould dann auf Maß geschnitten. Ich habe im Übrigen alle Repros hier im Studio selber gemacht.«
Und von welchem Format sprechen wir?
»Das Format ist 37 x 28 cm.«
Wenn Du sagst, dass das Auto in England war und ihr in den USA. Wie hat dann die Zusammenarbeit letztendlich ausgesehen?
»Ja, das ist ganz interessant gewesen. David lebt in Malibu, das Auto war in England und ich bin in San Diego. Das heißt, die Aluplatten kamen aus England. Der Siebdrucker sitzt in San Diego und die »Chicago Post Bindings«, also die Schrauben, haben wir in Kanada bestellt. Der Innenteil ist von Neyenesch Printers in San Diego gedruckt worden und zusammengebastelt habe ich die Bücher am Schluss hier in Südkalifornien.«
Wie lange hast Du an dem Projekt gearbeitet?
»Drei oder vier Monate. Oder vielleicht auch sechs Monate? Ich musste ja zunächst den Inhalt der Pappschachtel ordnen und abfotografieren. Das Vorwort sollte ursprünglich von Elana Scherr, Senior Editor des »Car and Driver«-Magazins kommen. Das hat aber leider nicht geklappt und so hat David Martin das Vorwort am Schluss selbst geschrieben. Eigentlich sollte das Buch im Oktober 2021 zur Bernina Gran Turismo fertig werden. Allerdings ist dann in der Werkstatt in England Corona ausgebrochen und das war‘s dann. Meines Wissens ist das Auto mittlerweile fertig, Stand heute Mai 2022. Jetzt überlegen wir, auf welcher Autoshow der Lotus debütieren könnte. Hier in Kalifornien gibt es in Pebble Beach eine ziemlich berühmte Autoshow. Vielleicht wird es aber auch ein Rennen in Frankreich.«
Und wann machst Du ein Geschäftsmodell aus Büchern für wohlhabende Leute, die teure Autos besitzen?
»Ja, könnte man mal drüber nachdenken. Am Ende geht es ja gerade bei Oldtimern vor allen Dingen um die Story, nicht nur ums Blech. Provenienz eben – wie bei der Kunst. Ich denk mal drüber nach und melde mich.«